Der 8. Mai 1945 und seine Bedeutung für Staufen im Breisgau

Veröffentlicht am 08.05.2021 in Allgemein

Der 8. Mai 1945 - zum 36. Mal wird in diesem Jahr an dieses Datum als Gedenktag der Befreiung erinnert. Warum? Der 2. Weltkrieg, der in Europa etwa 35 Millionen Menschen und 9.000.000 Häftlingen in Konzentrationslagern das Leben kostete, endete für Europa in Etappen.

Zum ersten Mal am 7. Mai 1945, genau um 2:47 Uhr morgens, im französischen Reims im Hauptquartier der alliierten Streitkräfte, der Feinde des Deutschen Reiches, unterschrieben die drei deutschen Oberbefehlshaber Alfred Jodl (Heer), Hans-Georg von Friedeburg (Marine) und Wilhelm Oxenius (Luftwaffe) die Gesamtkapitulation der deutschen Wehrmacht. Als Zeitpunkt für die Einstellung aller Kampfhandlungen in Europa wurde der 8. Mai, 23:01 Uhr festgelegt. Dann noch einmal am 9. Mai um 0:16 Uhr sowjetische Zeit unterschrieben in Berlin/Karlshorst drei Vertreter der deutschen Wehrmacht in Gegenwart des sowjetischen Oberbefehlshaber Marschall Schukow das Kapitulationsdokument. Es handelte sich nicht nur um eine traditionelle militärische Kapitulation - es war eine bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reiches. Der englische Wortlaut lautet: “unconditional surrender“, was auf Deutsch bedeutet: “bedingungslose Unterwerfung“. Das Deutsche Reich verlor seine Souveränität. Die gesamte Legislative, Exekutive und Judikative übernahmen die vier Siegermächte: Die Vereinigten Staaten von Amerika, das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland, die Französische Republik und die Sowjetunion.

Wie kam es dazu? Das Deutsche Reich hatte am 1. September 1939 mit dem völkerrechtswidrigen Überfall auf Polen eine militärische Auseinandersetzung initiiert, die in den folgenden fünfeinhalb Jahren einen globalen Brand, den Zweiten Weltkrieg, zur Folge hatte. Die nationalsozialistische Regierung unter dem Diktator Adolf Hitler hatte schon vorher einen Eroberungskrieg, vor allem in Osteuropa, geplant und ihre Politik darauf ausgerichtet. Die britische und französische Regierung sahen das Gleichgewicht der Mächte in Europa durch die deutsche Aggression abermals wie 1914 gefährdet. Beide Staaten waren zudem Schutzmächte Polens. Es gelang ihnen, eine militärische Allianz gegen den deutschen Aggressor zu bilden. Deutschland führte nicht nur einen mörderischen Vernichtungskrieg gegen die Bevölkerung Mittel- und Osteuropas, weil sie die dort lebenden Menschen als „wertlose Untermenschen“ betrachteten, sie übten auch einen Terror gegen die eigene Bevölkerung im Deutschen Reich aus. Höhepunkt war die Ausrufung des „totalen Krieges“ 1944. Mithilfe von Überwachungsmechanismen, Einschüchterungen und abschreckenden Gerichtsurteilen mit vielen Todesurteilen wurde jedweder Widerstand schon im Ansatz erstickt. Das “gleichgeschaltete“ deutsche Volk wurde rund um die Uhr überwacht mithilfe eines Heeres von willigen und eifrigen Mitglieder der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) und eines dichten Netzes uniformierter und in Zivil gekleideter “Staatsdiener“ wie SS, Staatssicherheit Dienst (SD) und geheimer Staatspolizei (Gestapo), um nur die schrecklichsten zu nennen. Rückblickend betrachtet gab es also Täter und Opfer. So ist es nicht verwunderlich, dass das Ende des Zweiten Weltkrieges und die Niederlage des Deutschen Reiches in Deutschland unterschiedlich aufgenommen wurde: Die überwiegende Mehrheit der Deutschen war erleichtert, für die politisch Verfolgten und Terrorisierten in den Gefängnissen und Zuchthäusern, zu denen viele Sozialdemokraten/innen gehörten, für die ausländischen Zwangsarbeiter und v. a. für die in den Konzentrationslagern misshandelten und unmenschlich behandelten Häftlingen bedeutete das Kriegsende eine wirkliche Befreiung von Qual und Tortur. Für die aktiven Nationalsozialisten bedeutete die Niederlage Angst vor einer Bestrafung durch die “siegreichen Feinde, die Besatzer“. Sie befürchteten, für ihr Verhalten während der zwölfjährigen Nazidiktatur zur Verantwortung gezogen zu werden. Ein Unrechtsbewusstsein gab es bei den aktiven Nationalsozialisten und ihren Unterstützern allerdings kaum oder gar nicht. Dies war wohl auch der Grund für den Selbstmord fast aller führenden Nationalsozialisten.

Was bedeutete der 8. Mai für die Menschen in Staufen/Breisgau? Die Staufener hatten im Jahre 1945 schon einiges mitgemacht. Im Februar war der Krieg direkt in den Ort gekommen. Da die in und um Staufen stationierten SS Einheiten mit Artilleriefeuer die vorrückenden französischen Truppen aufzuhalten versuchten, griffen Kampfflugzeuge und Bomber (vermutlich Maschinen der US-amerikanischen air force) den Ort am 8. Februar dreimal an: 79 Menschen (51 Zivilisten und 28 Soldaten) wurden getötet und 305 Gebäude wurden vollständig bzw. teilweise zerstört. Aber auch dieses Ereignis brachte v.a. die fanatischen und sicherlich auch verzweifelten Nationalsozialisten nicht zu der Einsicht, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen war, denn einige von ihnen töteten weiter: Eine im benachbarten Münstertal stationierte SS Gruppe ermordeten am 22. April den örtlichen Pfarrer. Die französischen Truppen hatten schon Krozingen besetzt und fast alle Einheiten der Wehrmacht waren in Richtung Schwarzwald geflohen. Um den französischen Vormarsch zu verhindern, befahl der Ortsgruppenleiter der NSDAP die vorbereitete Sprengung der Brücke über den Neumagen durchzuführen. Jetzt aber reichte es den Bewohnern Staufens, vor allem den Eigentümern der benachbarten Häuser an der Brücke. Der stellvertretende Bürgermeister und zwei weitere Bürger übergaben die Stadt kampflos, wie von dem französischen Kommandanten gefordert. Sie verhinderten auch mithilfe der französischen Soldaten die Sprengung der Brücke, indem sie von den angebrachten Sprengbomben berichteten. Die Franzosen rückten am 23. April kampflos ein. Der Krieg war wohl für Staufen und seine Bewohner zu Ende - fast, denn es kam zu weiteren Kampfhandlungen: Die im Münstertal stationierten Waffen-SS Gruppen versuchten den Vormarsch der französischen Truppen zu verhindern, indem sie auf Staufen mit Artillerie schossen, dies gelang ihnen nicht. Am Mittwoch, dem 25 April, schalteten die französischen Truppen, meist marokkanische Soldaten, den deutschen Widerstand aus. Jetzt erst war der Krieg für Staufen endgültig beendet.

Da die Bevölkerung allgemein keinen Zugang mehr zu Nachrichten hatte (alle Radios hatte die Bevölkerung den Besatzern zu übergeben und die einzige Zeitung in Staufen, das Staufener Wochenblatt, gab es schon seit 1934 nicht mehr), erfuhren die Staufener von der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches in der Nacht vom 8. auf den 9. Mai durch das Glockenläuten ihrer Stadtkirche. Befreite polnische Zwangsarbeiter und französische Besatzungssoldaten kletterten in den Glockenturm, um die drei letzten übrig gebliebenen Kirchenglocken erklingen zu lassen. Der Friede wurde also den Staufenern von Fremden verkündet.

Fühlten sich die Bewohner der Stadt befreit von der NS Diktatur oder fühlten sie sich vom Feind besetzt? Ob Sie sich diese Frage überhaupt stellten, ist nicht überliefert. Die meisten hatten wohl andere Sorgen: Hunger, Kälte und Obdachlosigkeit herrschten vor. Auch in Staufen war die Lage gekennzeichnet von einer Verdopplung der Einwohnerzahl. Flüchtlinge und Ausgebombte waren schon seit Anfang 1945 oft gegen den Willen der Einheimischen in Wohnungen eingewiesen worden. Und Lebensmittel waren rationiert - glücklich diejenigen, die Landwirtschaft betrieben, wenn sie auch Rohstoffe für Lebensmittel abgeben mussten.

Was geschah nun mit den Mitgliedern der NSDAP und vor allem mit den Funktionären der Partei? Schon am 23. April 1945 verbot die örtliche französische Besatzungsbehörde die Partei und sämtliche ihrer Organe. Ihr Vermögen wurde beschlagnahmt. Die Funktionäre wurden inhaftiert: So zum Beispiel der NSDAP Ortsgruppenleiter und sein Stellvertreter, sowie weitere fanatische Nationalsozialisten. Lehrer, die Parteimitglieder gewesen waren, wurden entlassen. Etliche wurden in Umerziehungseinrichtungen gesteckt. Dort sollten sie zu Demokraten erzogen werden. Vor sogenannten Spruchkammern, in denen sowohl Vertreter der Besatzungsmacht, als auch unbelastete Deutsche saßen, wurden alle Parteimitglieder und auch NS Sympathisanten verhört und dann als Mitläufer, Minderbelastete, Belastete oder Hauptschuldige eingestuft. Den letzten beiden wurde der Prozess gemacht. Allerdings kamen viele mit geringen Strafen bzw. Einschränkungen davon. So verwundert es, dass der NS Ortsgruppenleiter als Verantwortlicher für jahrelanges Schikanieren, für die Verfolgung von wirklichen und vermeintlichen NS Gegnern und für die Einweisung von Mitgliedern der israelitischen Gemeinde, d.h. von Juden, in Konzentrationslagern lediglich mit einem Berufsverbot und gekürzter Pension davon kam. Oft halfen sich ehemalige Parteigenossen gegenseitig mit „Entlastungsbeweisen“. Insbesondere in einer kleinen Stadt wie Staufer kam es so zur Bildung einer “Mauer des Schweigens“ und eines Netzwerkes.

Der Beginn einer politischen Wende wurde deutlich mit der Rückkehr von Alois Schnorr nach Staufen. Schnorr war bis 1938 Vorstandsvorsitzender der örtlichen Volksbank. Da er mit einer vom Judentum zum Christentum konvertierten Frau verheiratet war, galt er als “jüdisch versippt“. Er wurde 1944 als Zwangsarbeiter in das thüringischen SS Sonderlager Billroda, einem Außenlager des KZ‘s Buchenwald, eingewiesen und im April 1945 befreit. Er wurde auf Bitten zahlreicher Staufener von der französischen Besatzungsmacht als Bürgermeister im Mai 1945 eingesetzt, diese ernannte auch acht Männer aus Staufen als Gemeinderatsmitglieder. Von einer politischen Normalität konnte allerdings noch keine Rede sein. Erst im September 1946 fanden die ersten freien Gemeinderatswahlen statt.

An ein für unsere Partei, der SPD, wichtiges historisches Ereignis jener Zeit soll hier erinnert werden: Kurt Schumacher, der erste Nachkriegsvorsitzende der westdeutschen SPD, organisierte mit einigen weiteren Sozialdemokraten schon am 10. April 1945 in dem von US-amerikanischen Truppen besetzte Hannover eine Zusammenkunft, auf der sie den Wiederaufbau ihrer Partei beschlossen - also 20 Tage vor dem Selbstmord Adolf Hitlers. Und am 6. Mai hielt er auf der Versammlung zur Wiederbegründung des SPD Ortsvereins Hannover eine programmatische Rede. Schumacher war nicht nur ein Kriegsinvalide des Ersten Weltkriegs. Die Nationalsozialisten hatten ihn auch als aktiven Sozialdemokraten über einen Zeitraum von neun Jahren, neun Monaten und neun Tagen in verschiedenen Konzentrationslagern gefangen gehalten. Am 16. März 1943 wurde er als schwerkranker Mann nach Hannover entlassen, wo er sich zwangsweise aufhalten musste. Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 wurde Schumacher vom 24. August bis 20. September 1944 erneut inhaftiert. Zunächst in einem Gestapo-Gefängnis, später im KZ Neuengamme. Danach musste Schumacher sich weiterhin in Hannover aufhalten, bis die Stadt am 10. April 1945 durch alliierte Truppen befreit wurde.

Als was auch immer der 8. Mai 1945 von den Zeitgenossen betrachtet wurde:

  • als Tag des Sieges oder als Tag der Niederlage,
  • als Tag der Befreiung oder als Tag der Besatzung.

Heute muss er für uns eine Aufforderung sein, einen Terror, wie den von 1933 - 1945 unmöglich zu machen.

Wehret den Anfängen!

Henry Kesper

 

Quellen: Chronik 1945 (Chronik Verlag, 1988) | Susanne Miller/Heinrich Potthoff: Kleine Geschichte der SPD, Bonn 1988 | Wikipedia: Kurt Schumacher |Archivmaterial der Stadt Staufen

Bildquelle: Taxiarchos228 - Eigenes Werk, CC BY 3.0.

 

Homepage SPD Kreisverband Breisgau-Hochschwarzwald